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Was wir jetzt von einer Zeitzeugin lernen können.

By März 3, 2020 No Comments

Die Ereignisse in 2020 scheinen sich zu überschlagen. Brände in Australien, Brexit, Coronavirus, Hanau, Syrienkrieg. Um ehrlich zu sein, betrachte ich makroökonomische Ereignisse schon immer mit Distanz. Das soll nicht kühl klingen, sondern zeugt von einer Tugend die ich heute immer mehr vermisse. Sachlichkeit. Diese Tugend steht nicht konträr zu Emotionalität oder Empathie, sondern kann diese unterstützen, indem sie Panik und Hysterie eindämmt. Die vergangenen Tage haben mich aus meinem nahen und weiteren Umfeld ernüchternde, verunsicherte, teils resignierte Aussagen erreicht. Je mehr solcher Nachrichten ich erhielt, desto distanzierter wurde ich. Nicht negativ, sondern sachlich distanziert.

Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube es war um die Jahre 2008/09/10 herum. Ich besuchte demnach die 10. bzw. 11. Klasse des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Waldkirch. Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl zu jener Zeit, das viele mit sich trugen. Eine Mischung aus Unsicherheit, Unverständnis, vielleicht sogar Angst. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Zugegebenermaßen musste ich beim Schreiben des Artikels nachschauen welche Ursachen dies hatte, aber viele Ereignisse von damals ähneln den heutigen sehr. Die Finanzkrise dauerte noch an und brachte nachhaltig die globale Wirtschaft aus den Fugen, die Schweinegrippe wurde zur Pandemie erklärt, in Haiti starben eine Viertelmillion Menschen durch das schwerste Erdbeben in der Geschichte Nord- und Südamerikas. Es fühlte sich an, als wäre unsere Weltordnung instabil geworden, als hätten wir die Kontrolle (sofern es das überhaupt gibt) verloren. Es war in jedem Fall das erste Mal, dass ich ein solches Gefühl der Unsicherheit mit mir trug. Nicht wie sonst hervorgerufen durch persönliche Vorkommnisse in der Schule, mit Freunden oder im Sport, sondern erstmalig waren es globale Ereignisse, die mich verunsicherten. Es war zu dieser Zeit, als wir durch Zufall in kleiner Gruppe die Chance hatten mit einer Zeitzeugin des Holocausts über Ihr Leben und Ihre Geschichte zu sprechen. Zwar fand dieser Austausch regelmäßig statt, jedoch war es kein geplanter Besuch den wir im Vorhinein erwarteten. Selten hatte ich bis dahin jemanden getroffen, der mich so stark beeindruckte. Die Ruhe und Stärke die Sie trotz Ihrer Geschichte ausstrahlte waren außerordentlich. Ihre Lebensweisheit, sowie das natürliche Vertrauen das wir zu Ihr aufbauen konnten, bewegte mich dazu Sie auch nach Themen zu fragen, die gerade wenige Monate zurück lagen. Ich wollte wissen, wie jemand mit solch einer Geschichte, die aktuellen Entwicklungen auf der Welt sieht.

Also fragte ich sie: “Kann es sein, dass aktuell alles immer schlimmer wird?”

Sie entgegnete: “Es wird nicht wirklich schlimmer. Aber es wird auch nicht wirklich besser.”

Damals nicht ganz imstande den Wert dieser Aussage zu erkennen, prägt mich dieser Satz heute umso mehr. Nicht weil er entzaubernd oder entmutigend ist. Sondern weil er eine Sachlichkeit in sich trägt, die heute scheinbar verloren scheint. Wir alle unterliegen dem Irrglauben, dass nach dem nächsten Problem Ruhe einkehrt. Das nach der nächsten Hürde vorerst keine Hürde kommt. Das nach dem nächsten Ding, egal ob globale Krise oder private Herausforderung, erstmal nichts Dergleichen auf uns wartet. Wir alle tragen diese unbändige Hoffnung in uns, das sich Alles zum Guten entwickelt. Das bald Alles vorbei ist. Das die nächste Krise die Letzte ist. Doch dem ist leider nicht so. Das Leben besteht aus fortlaufenden Herausforderungen, Hürden, Krisen die es zu meistern gilt. Diese scheinbare Flut an Problemen die heute auf uns einprasselt bedeutet nicht, dass es sich nicht lohnt Hoffnung zu tragen. Im Gegenteil. Es bedeutet nicht, dass wir Nichts gegen die Herausforderungen unserer Zeit tun sollten. Im Gegenteil.

Aber es bedeutet, dass wir die Art und Weise, wie wir Krisen wahrnehmen und wie wir unsere Hoffnung nutzen, neu adjustieren müssen. Es gibt kein Szenario, in dem alle Probleme auf der Welt gelöst sind. Wir sollten daher aufhören uns nach dieser Utopie einer perfekten Welt in zwei, fünf oder zehn Jahren zu richten und jedes Mal enttäuscht sein, wenn Sie nicht eintritt. Diese Enttäuschung, die uns jedes Mal ereilt, wenn wir medial die nächste Krise vorgehalten bekommen, macht uns dauerhaft schwach. Nie war es einfacher, schneller eine neue Welle der Unsicherheit auszulösen. Nie war es einfacher schneller von neuen Informationen erschlagen zu werden. Diese Umverteilung der Macht weg von gesundem Menschenverstand hin zu medialer Steuerung gilt es zu erkennen. Statt einem Ideal zu folgen, und zu glauben dass alle unsere Sorgen irgendwann gelöst sind, sollten wir uns im Hier und Jetzt aufhalten. Einer der Hauptgründe unserer derzeitigen, scheinbaren Machtlosigkeit liegt darin, dass wir immer und immer wieder enttäuscht werden. Von uns selbst und der eigenen Hoffnung, dass irgendwann Alles vorbei ist. Diesen Kreis gilt es aufzulösen. Wir dürfen uns nicht in der utopischen Zukunft einer perfekten Welt aufhalten. Wir sollten uns kleinere Ziele setzen, kleine Erfolge feiern. Um einer durch Medien verursachten, dauerhaften Enttäuschung entgegenzuwirken.

Denn “Es wird nicht wirklich schlimmer. Aber es wird auch nicht wirklich besser.” Machen wir diese Sachlichkeit in der Art und Weise wie wir Medien und Nachrichten konsumieren sowie verbreiten erneut zu einer Tugend.

Ich freue mich riesig über eure Kommentare und Ideen zu diesem Thema.

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